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Neue Mitteldistanzwaffe bei der hessischen Polizei: Heckler & Koch G38

Heckler & Koch G38

Laderaumkonzept mit Schubladensystem und Staufächern

Individuell anpassbare Schaumstoffinlays für G 38 und MP 5

Was im Jahr 2016 mit der Vorerprobung zur Beschaffung einer Maschinenpistole im Kaliber 9 mm x 19 begann, endete im Mai 2019 mit der Bezuschlagung der Mitteldistanzwaffe (MDW) Heckler & Koch G 38 in 5,56 mm x 45 NATO. Das G 38 wird dabei flächendeckend die in die Jahre gekommene HK MP 5 ersetzen, deren Beschaffung etwa ein halbes Jahrhundert zurückliegt.


Arbeitsgruppe Mitteldistanzwaffe

Nach Aufhebung des europaweiten Verfahrens zur Beschaffung einer neuen Maschinenpistole und in Folge der geänderten strategischen Vorgaben seitens des Landespolizeipräsidiums (LPP), wurde im Jahr 2018 unter der Federführung des Hessischen Polizeipräsidiums für Technik (HPT) eine Arbeitsgruppe aus Vertretern unterschiedlicher Organisationseinheiten ins Leben gerufen. Beteiligt wurden hierbei Fachkräfte aus dem Bereich des Einsatztrainings der verschiedenen hessischen Polizeibehörden sowie der Koordinierungsstelle Einsatztraining der Polizeiakademie Hessen. Darüber hinaus waren Einsatzkräfte des Wach- und Wechseldienstes, der Operativen Einheiten und vor allem auch waffentechnisches Personal sowie die Schießstandsachverständigenstelle des HPT ständige Mitglieder der Arbeitsgruppe.


Europaweites Verfahren

Nachdem das erste europaweite Beschaffungsverfahren aus formaljuristischen oder technischen Gründen nicht bezuschlagt werden konnte, konnte im zweiten Verfahren, unter der Beteiligung von drei Bietern, ein Ergebnis erzielt werden. Über einen mehrmonatigen Zeitraum erfolgten durch die Arbeitsgruppe taktische und technische Erprobungen, in deren Zusammenhang Patronen im fünfstelligen Bereich verfeuert und die Beurteilung der Ergebnisse sowie sämtlicher mitgelieferter Unterlagen vorgenommen wurden.

Final erhielt die Firma Heckler & Koch mit dem G 38 den Zuschlag. Das Angebot erzielte nach Auswertung der Ergebnisse aus den taktischen und technischen Erprobungen die meisten Leistungspunkte und gelangte somit auf Platz eins.

Das G 38 gehört zur Waffenfamilie HK416, die bereits bei einer Vielzahl von Einheiten in unterschiedlichen Konfigurationen eingesetzt wird. Darunter fallen beispielsweise deutsche und internationale Spezialeinheiten der Polizei sowie des Militärs und komplette Streitkräfte wie die Armeen von Norwegen oder Frankreich.


Die neue MDW als „Rundumsorglos-Paket“

Die MDW wird als „Rundumsorglos-Paket“ in Form eines Sets ausgeliefert. Bei der Konfiguration der Zubehörteile, speziell auch im Bereich der Optik, wurde Wert auf militärische Robustheit gelegt. Zudem werden MDW-Sets mit Blauwaffen für das Farbmarkierungsschießen und MDW-Sets mit Rotwaffen für das Handling beschafft.

Die Anzahl der MDW-Sets aus dem Rahmenvertrag (ungefähre Angaben) teilen sich auf in eine Festmenge und in eine optionale Menge, auf die bei zusätzlichen, nicht vorhersehbaren Bedarfen unkompliziert zurückgegriffen werden kann. Die Festmenge für 2019 und 2020 besteht aus 1.450 scharfen MDW-Sets zuzüglich 260 MDW-Sets Rotwaffen und 200 MDW-Sets Blauwaffen.

Als Einsatzmunition findet die Patrone MEN QD 2.0 mit einem 4,2 Gramm schweren, bleifreien Deformationsgeschoss Verwendung. Im Einsatztraining wird die ebenfalls bleifreie Patrone MEN LfI eingesetzt, für Farbmarkierungsszenarien mit Blauwaffen die Patrone Speer Force on Force. Die jeweils vier Jahre laufenden Rahmenverträge decken hierbei in der Gesamtsumme etwa 10 Millionen Patronen ab.


Technik und Konfiguration eines MDW-Sets im Überblick:

  • Kaliber: 5,56 mm x 45
  • Vier Magazine à 30 Patronen, aus hochbelastbarem Kunststoff, mit Sichtfenster
  • Gasdrucklader, Gasgestänge mit kurzem Hub
  • Lauflänge: 14,5 Zoll (ca. 37 cm), zur besseren Ausnutzung der ballistischen Eigenschaften der Patrone 5,56 mm x 45 NATO
  • Gewicht: ca. 4 kg
  • Feuerart: Einzelfeuer, Sicherungsflügel 90°, mit Piktogrammen
  • Länge: minimal 80 cm, maximal 90 cm
  • Längenverstellbare Schulterstütze mit fünf Rastpositionen
  • Beidseitige Bedienbarkeit von Durchladehebel, Sicherungshebel und Verschlussfanghebel
  • Schmaler „Slimline“-Handschutz mit HKey Schnittstellen (Universalschnittstellen zur individuellen Anbringung von Befestigungsschienen)
  • Befestigungsschienen nach aktuellem Militärstandard NAR (NATO Accessory Rail, STANAG 4694, Rückwärtskompatibilität mit Picatinnyschiene STANAG 2324 ist gegeben)
  • Beidseitige Aufnahmemöglichkeiten für Tragegurte an drei Stellen des G 38: Vorne am Handschutz, direkt über dem Waffengriff und am Hinterschaft
  • RFID Chip
  • Hauptkampfoptik: Aimpoint CompM4 (2 MOA Rotpunkt), gefederte, transparente Schutzkappen
  • Klappbare mechanische Visierung aus Metall (BUIS, Back Up Iron Sight), zu 100 % korrelierende optische Achse mit Aimpoint CompM4
  • Streamlight Protac Waffenleuchte, individuell montierbar
  • Magpul AFG-2 Vordergriff (flacher Winkel)
  • Blackhawk-Tragegurt Snap Hook mit Schnellverstellung (Verstellung Trageweise von Einpunktgurt auf Zweipunktgurt mittels Karabinerhaken)
  • Eagle Industries Umhängetasche (Active Shooter Bag) für den Transport von vier Magazinen für G 38 (mit elastischen Schlaufen/Bungee-Bändern) und weiteren Materialien (z. B. Erste-Hilfe-Set, Taschenlampe, Magazine für HK P 30, Kartenmaterial), mit Abwurfsack und modularen Gurtbändern für Hüfte und Schulter
  • Reinigungsgerät für Waffe
  • Reinigungsgerät für Aimpoint
  • Bedienungs- und Reinigungsanleitung

Auslieferung

Die Lieferung der einzelnen Kontingente der jeweiligen Festmengen begann kurz vor Weihnachten 2019 und wurde im Mai 2020 beendet – etwa ein halbes Jahr früher als ursprünglich geplant.


Ausbildung

Im Mai 2020 begann für jede Einsatztrainerin / jeden Einsatztrainer die jeweils einwöchige Qualifizierung. Das darauffolgende Grundlagentraining für etwa zehntausend Einsatzkräfte des Wach- und Wechseldienstes und der operativen Einheiten erfolgt dezentral in den Polizeibehörden und nimmt für jede Einsatzkraft drei Tage in Anspruch. Die Ausbildung beinhaltet ein Trockentraining mit Rotwaffen zum Kennenlernen und Zerlegen, einen Blauwaffenparcours sowie das scharfe Schießen auf unterschiedlichste Zieldarstellungen, wobei auch Stahlziele („Plates/Gongs“) ein fester Bestandteil darstellen. Auch das Schießen aus Deckungen heraus, verschiedene Anschlagsarten, Störungsbehebungsdrills, das Reinigen der Waffe, der Umgang im Zusammenspiel mit den speziell konzipierten NIT-Fahrzeugen (Notinterventionsteam) sowie das Personalisieren der Waffe in Verbindung mit der Schutzausstattung werden vermittelt. Zwei der drei Tage finden hierbei auf Außenschießständen statt. Den Abschluss bildet die Lernzielkontrolle in Form einer auf die MDW abgestimmten Kontrollübung, die zwingend erfüllt werden muss.

 


Schießstätten

Die besonderen Herausforderungen, die die flächendeckende Nutzung der Patrone 5,56 mm x 45 NATO in Bezug auf die Schießstätten mit sich bringt, sind vielfältig:

  • Eine etwa dreifach höhere Geschossenergie gegenüber 9 mm x 19 belastet die Sicherheitsbauten stärker
  • Der geringere Kaliberdurchmesser von 5,56 mm gegenüber 9 mm erschwert in Teilen die Treffererkennung
  • Die Menge an unverbrannten Treibladungspulverresten bei gleicher Schusszahl ist höher als bisher
  • Der entstehende Schießlärm wird im Vergleich zur 9 mm x 19 unterschiedlich wahrgenommen.

Prinzipiell sind alle Raumschießanlagen sowie die beiden offenen Schießstände der hessischen Polizei für den Schießbetrieb mit dem G 38 geeignet. In Teilen werden kleinere bauliche Anpassungen vorgenommen, um alle Sicherheitsbauten an das Gewehrschießen anzupassen. Idealerweise verfügen die Stände für das dynamische Mehrdistanzschießen über eine Mindestlänge von 50 m und eine Mindestbreite von 9 m, weshalb alle behördlichen Bauvorhaben zukünftig auf die genannten Maße abgestimmt werden.

Derzeit sind darüber hinaus zehn in ganz Hessen verteilte, zivile Schießstände angemietet worden, um mehr Trainingsmöglichkeiten für die mittleren Distanzen anbieten zu können. Die Anzahl solcher Anmietungen soll im Laufe der Zeit weiter erhöht werden.


Jede durch die hessische Polizei genutzte Schießstätte wird nach den Bestimmungen der Bundesschießstandrichtlinie und der hessischen Schießstandrichtlinie durch die Schießstandsachverständigenstelle des HPT in Augenschein genommen und individuell für das Training mit dem G 38 freigegeben.


Passende Fahrzeuge

Das hessische Konzept der NIT des Wach- und Wechselschichtdienstes erhöhte in erheblichem Maße die Anforderungen an die Einsatzfahrzeuge. Angesichts der Körperschutzausstattung, Erste-Hilfe-Sets, Öffnungswerkzeuge und nicht zuletzt aufgrund der größeren Abmessungen von zwei mitzuführenden MDW, war das Ladevolumen des bewährten Opel Zafira für die zu bewältigenden Aufgaben nicht mehr ausreichend.


Eigens für die Zwecke der NIT wurde ein Fahrzeugtyp beschafft, der auf diesen Einsatzzweck hin optimiert und ausgebaut wurde. Einerseits musste das Fahrzeug den Anforderungen eines uniformierten Funkstreifenwagens genügen und andererseits die Unterbringung der zusätzlichen NIT-Ausrüstung sowie der neuen MDW im Laderaum gewährleisten.

Im Rahmen einer mehrmonatigen umfassenden Erprobung war die Entscheidung für die technischen Parameter des Fahrzeuges und das Laderaumkonzept gefallen:

 

  • Fahrzeuglänge: ≤ 5.000 mm
  • Fahrzeughöhe (inkl. Sondersignalanlage): ≤ 2.000 mm (Nutzung in Tiefgaragen)
  • Laderaumlänge bei 5 Sitzplätzen:  ≥ 950 mm
  • Laderaumbreite: ≥ 1.100 mm
  • Gesamtmasse: ≤ 3.100 kg
  • Abgasnorm: mindestens 6d Temp.
  • Motorleistung: ≥ 120 kW
  • 2 x Schiebetüren, 5-Türer
  • Allradantrieb
  • Alarmanlage
  • Kartennavigationssystem mit Sprachsteuerung
  • Rückfahrkamera
  • Ordnungssystem mit großen Ablageflächen und einer besonders gesicherten Schublade

Im Rahmen des Beschaffungsverfahrens wurde am Ende der MB Vito kompakt bezuschlagt.


Gerade die adäquate Unterbringung der MDW stellte eine große Herausforderung dar. Hier konnte unter fachtechnischer Beteiligung des Hessischen Landeskriminalamtes sowie einer Spezialfirma für Sicherheitsschlösser eine optimale Lösung erreicht werden. So besteht im Heck des Fahrzeuges die Möglichkeit, zwei MDW Sets samt Munition sicher zu verstauen. Durch ein flexibel anpassbares Schaumstoffinlay ist sowohl die Mitnahme der MP 5 als auch des G 38 möglich, weshalb während und nach dem Roll-Out der G 38 keine nachträglichen Anpassungen erforderlich werden.


Über den Autor: PHK Olaf Allmannsberger arbeitet seit 2006 im Hessischen Polizeipräsidium für Technik und leitet das Hautsachgebiet 24 Waffen und Gerät, in dessen Zuständigkeit die Durchführung von Vergabeverfahren für Führungs- und Einsatzmittel (allgemeine Ausrüstung), Verkehrstechnik, kriminaltechnisches Verbrauchsmaterial, die Waffenwerkstatt und das hessenweite Waffenmanagement verortet sind. Seine vorherige Laufbahn beinhaltete die Tätigkeit im Schusswaffen- und Munitionserkennungsdienst des HLKA, operative Aufgaben sowie die Verwendung als Einsatztrainer.


Bilder 1-3: Hessisches Polizeipräsidium für Technik, Pressestelle, Fotograf: Mark Weber, Bild 4: Hesisches Polizeipräsidium für Technik, Fahrzeugwesen, Fotograf: Benjamin Dambeck