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Neues Konzept für schusssichere Westen in NRW

Unterziehschutzweste

 

Sachgebiet 31.5 lautet die unspektakuläre Bezeichnung der Dienstelle des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD NRW), die für die Entwicklung und Erprobung von Waffen und Gerät zuständig ist. Doch hinter dem bürokratischen Titel verbirgt sich eine Vielzahl hochspezialisierter und wichtiger Aufgaben für die NRW-Polizei: 13 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen betreiben hier ein Mess- und Prüflabor, ein Schießlabor und einen Schießstand für die Entwicklung und Erprobung von Waffen, Munition und technischem Gerät, von Schutzausrüstung und persönlicher Schutzausstattung. 

 

Gudrun Dickhoff ist Leiterin des Sachgebiets. Vier Techniker, vier Sachverständige für die Sicherheit von Schießstätten und vier Sachbearbeiter sorgen im Team dafür, dass die technische Ausrüstung der NRW-Polizei modernsten Anforderungen genügt und den notwendigen technischen Voraussetzungen entspricht. „Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen“, erläutert Dickhoff die Zusammensetzung ihres Teams. Mechatronikerin, Büchsenmachermeister und Bauingenieur arbeiten hier gemeinsam mit berufserfahrenen Polizeibeamten und einer Verwaltungsbeamtin an den komplexen Aufgaben. “Alle verfügen neben dem erlernten Beruf über zusätzliche Qualifikationen, einige haben sogar mehrere Berufe erlernt“, unterstreicht Dickhoff.

 

Gudrun Dickhoffs Dienststelle wird im allgemeinen Sprachjargon als waffentechnisches Labor bezeichnet. Hier werden technische Lieferbedingungen und Teile der Leistungsverzeichnisse zur Beschaffung erarbeitet. Eingehende Angebotsmuster werden im Rahmen von Ausschreibungen bewertet und bis ins kleinste Detail geprüft. Aber auch in Gebrauch befindliche Waffen und technische Geräte werden den notwendigen Ansprüchen entsprechend betreut und regelmäßige Qualitätsprüfungen vorgenommen. Ein Beispiel: Die Einsatzmunition der Polizistinnen und Polizisten in Nordrhein-Westfalen. „Wir überprüfen jede Charge der in NRW verwendeten Einsatzmunition auf Einhaltung der technischen Lieferbedingungen und geben sie frei“ erläutert Gudrun Dickhoff. Erst dann darf die Munition an die anfordernden Behörden ausgeliefert werden.

 

Das neue Wälzungskonzept für Unterziehschutzwesten

Seit 2001 stattet die nordrhein-westfälische Polizei alle Polizistinnen und Polizisten mit Unterziehschutzwesten der Klasse 1 aus. Da für die erstbeschafften Westen im Jahr 2005 die Gewährleistungsfrist des Herstellers in diesem Jahr abläuft, stand bereits im Vorfeld eine Ersatzbeschaffung zur Diskussion. Intensive Beschussversuche durch die Fachleute des LZPD und wissenschaftliche Untersuchungen des ballistischen Ausgangsmaterials durch die Hochschule Wildau zeigten, dass eine Beeinträchtigung der ballistischen Schutzwirkung der Westen sich nur bei intensivem Gebrauch oder schädigenden äußeren Einflüssen ergeben.

 

 Für Jürgen Mathies, Behördenleiter des LZPD, war die Konsequenz aus der Gesamtheit der  Ergebnisse schnell klar. „Auf der einen Seite konnte durch die detaillierten Untersuchungen sowohl eine Beeinträchtigung der ballistischen Schutzwirkungen bei stark beanspruchten Schutzwesten vor Ablauf der Gewährleistung festgestellt werden“, erläutert er die Ergebnisse. „Auf der anderen Seite wurde ebenso klar, dass wenig beanspruchte Westen unabhängig von der vertraglichen Gewährleistungsdauer des Lieferanten nach wie vor ballistisch sicher wirksam sind“. Jürgen Mathies zog gemeinsam mit den Expertinnen und Experten die logische Schlussfolgerung: „Ein standardisierter Tausch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist schied nach diesen Erkenntnissen für uns aus.“ Mathies beauftragte das Labor, mit dem Dezernat für landeszentrale Polizeitechnik und dem Polizeibekleidungscenter ein neues Wälzungskonzept zu entwickeln.

 

Ab sofort werden deshalb alle Schutzwesten der NRW-Polizei durch von Mitarbeitern des LZPD eingewiesene sachkundige Personen einer periodischen Revision unterzogen. Das Ziel lautet: die Feststellung des Zustandes jeder Weste ohne Abhängigkeit vom Gewährleistungszeitraum. Zusätzlich beschießen die Experten des Sachgebiets 31.5 Unterziehschutzwesten, die im Gebrauch sind, jährlich nach festgelegten Regeln und prüfen so die Einhaltung der geforderten ballistischen Leistung. Die Ergebnisse der Begutachtung jeder einzelnen Weste werden in Priorisierungsgrade eingeteilt: Westen mit Priorität 1 weisen beispielsweise starke Gebrauchsspuren auf. Sie werden unmittelbar ausgetauscht, nachdem alle Angaben zu Nutzungshäufigkeit und Intensität erfasst worden sind. Über Priorität 2 (Westen mit Gebrauchsspuren) reicht die Kategorisierung bis Priorität 3: Das sind Westen ohne Gebrauchsspuren, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie den notwendigen ballistischen Schutz nach wie vor gewährleisten. „Wir erreichen mit diesem neuen Wälzungskonzept unser wichtigstes Ziel“, ist sich Jürgen Mathies sicher. „Jede Polizistin und jeder Polizist in Nordrhein-Westfalen ist mit einer schusssicheren Schutzweste ausgestattet, die ihrer Schutzklasse entsprechend ein Höchstmaß an Sicherheit gegen Angriffe mit Schusswaffen bietet.“

 

Die Aufgaben des Sachgebietes 31.5 enden aber nicht bei der allgemeinen Ausstattung der Polizeibeamtinnen und –beamten. Stehen besondere Einsätze an, wie beispielsweise bei der Bekämpfung der Schwerstkriminalität, ist das Expertenwissen von Gudrun Dickhoff und ihrer Mannschaft in vielen Fällen gefragt. „Wir entwickeln Waffen, Munition und Gerät für spezielle Einsatzzwecke und betreuen auch die Sonderwaffen der Spezialeinheiten“, erläutert Dickhoff. Das Spezialwissen spielt häufig auch während und nach speziellen Einsatzlagen eine Rolle.

 

Durch Schießstandsachverständige werden die Schießanlagen der Polizei NRW technisch geplant, betreut und geprüft. Sowohl der Bau als auch der Betrieb regionaler Trainingszentren werden begleitet. Die technischen Voraussetzungen für sicheres Schießen sind integraler Bestandteil der Planung, beim Bau und im Betrieb. Darüber hinaus entwickeln und erproben die Schießstandsachverständigen Materialien und Vorrichtungen für den sicheren Schießbetrieb und veranlassen deren Verwendung.

 

„Wir beteiligen uns  an der Gremienarbeit zur Gestaltung und Fortschreibung der unserer Arbeit zugrundeliegenden Normen und Richtlinien“, erläutert Gudrun Dickhoff eine weitere Aufgabe ihres Sachgebiets. „Ebenso betreiben wir Marktschau und regen für die Polizeiausstattung wichtige Innovationen in der Industrie an.“ So beteiligte sich beispielsweise der in NRW zuständige öffentlich bestellte und vereidigte Schießstandsachverständige an der Erarbeitung der Prüfrichtlinie „Materialien und Konstruktionen zur Vermeidung von ab- und rückprallenden Geschossen“ der Vereinigung der Prüfstellen für Angriffshemmende Materialien (VPAM). Die Sachbearbeiter der unterschiedlichen Fachrichtungen beteiligen sich unter anderem an der Errichtung und Fortschreibung der technischen Richtlinien der Polizeien der Länder und des Bundes,  herausgegeben durch das Polizeitechnische Institut an der Deutschen Hochschule der Polizei mit Sitz in Münster.

 

„Aufgrund der von uns erarbeiteten Erkenntnisse werden in NRW die höchsten Sicherheitsstandards in der Ausrüstung der Polizei eingehalten“, sagt Gudrun Dickhoff. „Dies ergibt sich daraus, dass uns aus der Labor- und Netzwerkarbeit auch die technischen Erkenntnisse zur Verfügung stehen, welche sich noch nicht in den Regelwerken widerspiegeln können.“ Es handelt sich dabei um den aktuellen Stand der Technik. „Natürlich darf auch in solchen Fällen die Sorgfalt nicht vernachlässigt werden. Technik bzw. technische Hilfsmittel und Schutzausstattung dürfen erst dann in der Breite eingesetzt werden, wenn der aktuelle Stand der Technik anerkannt ist und sichere Erkenntnisse über die dauerhafte Funktionalität vorliegen.“ 

 

Bild: Verseidag, Text: Gudrun Dickhoff, LZPD