Arbeitschutz Einführung 2013

 

Vereinbarkeit von Arbeitsschutz und gefahrengeneigter Tätigkeit

Im Arbeitsrecht hat sich der Begriff „gefahrengeneigte Tätigkeit“ herausgebildet. Er bezeichnet die Situation, in der sich ein abhängig Beschäftigter befindet, wenn er seine Tätigkeit in einem Beruf ausübt, der unvermeidbare Gefahrenmomente mit sich bringt. Der Beruf des Polizeibeamten ist ein solcher.

Die Gefährdungen, die sich darin ergeben können, sind mannigfaltig. Sie reichen von Gefahren, denen jedermann in – und außerhalb eines Arbeitsverhältnisses unterworfen sein kann, bis hin zu Todesgefahren. Letztere sind allerdings in höchst wenigen Berufssparten immanent.

Bei Anwendung des im Arbeitsschutz anerkannten Vorsorgeprinzips, nach dem eine erkannte Gefahr zunächst zu eliminieren, danach zu minimieren ist und erst in einer dritten Näherung Schutzmaßnahmen, die sich an Beschäftigte richten, aufzuerlegen sind, befindet sich der Polizeibeamte bei bestimmten polizeilichen Lagen zwangsläufig im Bereich der dritten Stufe. D. h. konkret: Der Beamte muss sich durch sein Verhalten selbst oder mittels Verwendung technischer Einsatzmittel vor Schaden schützen.

An dieser Stelle ist zu hinterfragen, ob tatsächlich für alle denkbaren Fälle, die im allgemeinen oder besonderen polizeilichen Alltag auftreten, Verhaltensmuster und/oder technische Hilfsmittel, d. h. Einsatz- und Ausrüstungsmittel, zur Verfügung stehen, um Beamte effizient zu schützen.

Diese Frage kann nur dann beantwortet werden, wenn im konkreten Fall – der im Vorhinein nicht pauschaliert beurteilt werden kann – eine separate Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird.

Dabei ist eine pragmatische Anlassorientierung erforderlich. Sie muss zweckmäßig und effizient sein – aber sie muss durchgeführt werden! Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Beurteilung „Lagebeurteilung“, „Informationsauswertung“ oder „Gefährdungsbeurteilung“ genannt wird. Wichtig ist, dass diese Maßnahme vor einer Diensthandlung erfolgt, die möglicherweise gefährlich werden könnte. Dabei darf und muss durchaus ein höheres Maß an Gefährdung angenommen werden, als es nach objektivem Dafürhalten erwartet werden kann. 

Das oberste Prinzip muss lauten: „Der Mensch darf durch die Erfüllung seiner Aufgabe nicht zu Schaden kommen. Die auftragsbezogene Konfliktlösung ist daher erforderlichenfalls unterzuordnen.“

 

Spezialfunktion des Arbeitsschutzes in der Polizei

Die Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie der Europäischen Union gibt den Staaten die Möglichkeit vor, die Geltung von Teilen des Arbeitsschutzrechts für bestimmte Berufsgruppen bei ganz konkret umrissenen Aufgaben ganz oder teilweise von Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes (nicht des Arbeitsschutzes!) auszunehmen. 

Die komplette Freistellung vom gesamten Arbeitsschutzrecht ist in diesem Zusammenhang weder statthaft noch sinnvoll und erforderlich.

Die Gesetzgeber haben diese Freistellungsmöglichkeit, welche u. a. auch für die Polizei zur Erfüllung zwingend erforderlicher Maßnahmen – insbesondere zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit – gilt, vor hohe Hürden gestellt. Bund und Länder müssen, um von dieser Öffnungsklausel Gebrauch machen zu können, eine entsprechende Regelung mittels Rechtsverordnung treffen. Darin ist der Umfang der Ausnahme zu bestimmen sowie darüber hinaus festzulegen, auf welche alternative Weise die Ziele des Arbeitsschutzes gewährleistet werden.

Dieser „Second-Best“-Arbeitsschutz stößt in der Praxis offensichtlich an seine Vollzugs-Grenzen, denn bis Ende 2010 haben nur sechs Gesetzgeber – der Bund, Berlin, Brandenburg, Thüringen, Hessen und Bayern – von der Öffnungsklausel Gebrauch gemacht.

Die GdP spricht sich für eine solche Regelung aus. Zersplitterte Bestimmungen, die dem föderalen Prinzip folgen, sind nicht zuletzt aufgrund der sich häufenden länderübergreifenden Einsatzlagen klar abzulehnen.

Es ist ferner unabdingbar, gerade für Berufe, mit gefahrengeneigten Tätigkeiten eindeutige Bestimmungen für Fälle zu schaffen, in denen bestehende Schutzvorschriften aus dem originären Arbeitsschutzrecht nicht gelten sollen. Darin ist widerspruchsfrei und eindeutig festzustellen, wie das Schutzziel auf andere Weise erreicht werden kann.

Möglichkeiten, nach diesem Prinzip zu verfahren, gibt es höchstwahrscheinlich für nahezu alle denkbaren polizeilichen Lagen. Wichtig ist dabei jedoch, dass klare Entscheidungs- und Ablaufregelungen erstellt werden, wer, wann und für welche Fälle die Ausnahme definieren darf und auf welche konkrete Weise das „Ersatz“-Schutzziel zu erreichen ist.

Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass die Personen, die zu solchen Beurteilungen und Anordnungen berechtigt und gegebenenfalls verpflichtet sind, die Befähigung besitzen, nicht nur polizeitaktisch, sondern auch arbeitsschutzrechtlich und -technisch entscheiden zu können. Nicht jeder, der ein guter taktischer Polizeiführer ist, muss auch gleichzeitig ein ebenso guter Gefährdungsbeurteiler sein. Dabei ist weiterhin zu berücksichtigen, dass solche Verpflichtungen in der letzten Konsequenz auch Streifenführer treffen können.

Wichtiger Grundsatz ist für die GdP in diesem Fall, dass die Inanspruchnahme der Öffnungsklausel des § 20 ArbSchG allen davon betroffenen Beamten einen objektiv gleichwertigen alternativen Gefährdungsschutz bei der Dienstverrichtung bietet. R. K.