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Patrone 9 mm x 19 - MADE IN ITALY

Neben vielen eindrucksvollen Beispielen italienischer Ingenieurskunst, die heute den automobilen oder kulinarischen Alltag weltweit begleiten, gibt es aber auch traditionsreiche Hersteller in weiteren Bereichen, die in über 100 Jahren Firmengeschichte ein technisches Knowhow entwickelt haben, das sie zu beachteten und respektierten Fachbetrieben hat wachsen lassen. 

 

Ein besonders gelungenes Beispiel für solche Leistungsfähigkeit stellt die Munitionsfabrik Fiocchi, am Comer See gelegen, dar.

Wie viele andere Munitionshersteller auch, ist die internationale Waffenausstellung in Nürnberg, IWA ein Branchentreff, auf dem man seine Kompetenzen einem interessierten Fachpublikum vorstellt. Vor etwas mehr als drei Jahren gab es auf der IWA, auf der natürlich auch  Fiocchi als Hersteller vielerlei hochwertiger Munitionsarten für die Jagd und für Sportschützen teilnimmt, eine konkrete Ansprache von Vertretern deutscher Landespolizeien hinsichtlich der Möglichkeit, eine Polizeimunition 9mm für den deutschen Behördenmarkt zu entwickeln.

 

Bisher teilen sich den Markt die beiden etablierten Anbieter MEN Metallwerk Elisenhütte GmbH aus Nassau  und die RUAG Ammotec GmbH mit Sitz in Fürth als Teil der Schweizer RUAG Holding als einzige Hersteller mit Munition, die nach der technischen Richtlinie (TR) Patrone 9 mm x 19, schadstoffreduziert, Stand September 2009, zertifiziert ist. 

 

Offensichtlich erschien es den Behördenvertretern aber reizvoll, hier einen dritten Anbieter bei künftigen Ausschreibungen für die Beschaffung von Polizeimunition in Deutschland einbeziehen zu können. Wenn ein dritter Anbieter mit zertifizierter Munition 9 mm x 19 sein Angebot abgibt, ändert das natürlich alles, oder doch nicht? 

 

Fiocchi auf jeden Fall nahm sich der Herausforderung an. Bereits seit vielen Jahren beliefert Fiocchi Märkte außerhalb Deutschlands sehr erfolgreich mit Polizeimunition. So wurde z. B. vor einigen Jahren eine Dependance in den Vereinigten Staaten von Amerika gegründet und seit dem der amerikanische Markt sowohl mit Schrot- als auch mit Pistolenmunition beliefert. Der Umsatz auf diesem wichtigen Markt hat sich seit dem beachtlich entwickelt.

 

Aber auch die Polizeikräfte in europäischen Ländern vertrauen auf die Qualität des italienischen Traditionsherstellers.

Nun stellt der deutsche Markt für Polizeimunition 9mm eine beachtliche Hürde für die Beschaffung auf: die bereits erwähnte technische Richtlinie (TR) Patrone 9 mm x 19, schadstoffreduziert mit Stand September 2009 des Polizeitechnischen Instituts (PTI) der Deutschen Hochschule der Polizei.

 

Forensische und kriminalistische Anforderung

Neben den technischen Forderungen hinsichtlich z. B. Ladefähigkeit und Maßhaltigkeit, Wasserdichtigkeit und Gasdruck, Geschossenergie oder Treffgenauigkeit, heißt es unter 2.4.1 -Anzündsatz und Treibladungspulver- unter anderem „Die Schmauchrückstände müssen nichtflüchtige Spurenelemente enthalten, die in der Umwelt selten vorkommen und die einen hochspezifischen Nachweis der Rückstände erlauben.“ Des Weiteren heißt es in Nr. 2.4.2.1 der TR „Das Polizeigeschoss muss nach dem Verschießen Spuren tragen, die eine erkennungsdienstliche Untersuchung mit dem Ziel der Zuordnung des Geschosses zum Waffenlauf über Individualspuren zulassen“.

Es werden also spezifische Anforderungen bezüglich der Schmauchrückstände und der Geschossmarkierung durch den Lauf definiert.

Dementsprechend gilt die Anlage 3 „Kriminaltechnische Forderungen“ mit dem Anhang 1 „Untersuchung von Schmauchrückständen bei Polizeimunition zum Zwecke eines hochspezifischen Nachweises“ mit einem Umfang von sieben Seiten sowie mit dem Anhang 2 „Untersuchung von Verfeuerungsspuren auf Geschossen von Polizeimunition mit dem Zweck der Zuordnung zu Polizeiwaffen“ mit einem Umfang von ebenfalls sieben Seiten, als Grundlage für eine umfassende Entwicklungsarbeit in den Laboren von Fiocchi in den vergangenen Jahren.

 

Ziel der Entwicklung war es, eine Munition zur Zertifizierung einzureichen, die neben den klassischen technischen Anforderungen an eine Patrone vor allem die forensischen und kriminalistischen Anforderungen erfüllt.

 

Hierzu muss z. B.  das Geschoss nach dem verschießen mechanisch verursachte Spuren tragen, die eine erkennungsdienstliche Untersuchung mit dem Ziel der Zuordnung des Geschosses zum Waffenlauf über Individualspuren zulassen.  Hierbei wird zwischen Polizeigeschoss und Übungsgeschoss differenziert. Das Polizeigeschoss muss diese Forderung für die Zertifizierung erfüllen, das Übungsgeschoss soll diese Forderung erfüllen. Sie kann aber bei der Beschaffung der Übungsmunition verlangt werden!

Im Übrigen gilt für die Polizeimunition diese kriminaltechnische Forderung als erfüllt, wenn der Bereich des Geschosses, der mit der Rohrinnenfläche der Waffe in Berührung kommt, aus einem oder mehreren der Materialien Messing, Tombak, Kupfer oder Neusilber besteht und bei schichtartigem Aufbau des Kontaktbereichs die äußerste Schicht mindestens 0,1 mm stark ist. Eine Einzelfallprüfung wird erst erforderlich, wenn der Kontaktbereich beispielsweise aus den oder einem der nachstehenden Materialien besteht: Zinn, Aluminium, Zink oder Polymere (Kunststoffe). 

 

Hexenküche

Wie zuvor ausgeführt, bilden die geforderten Schmauchspuren eine besondere Herausforderung an die Chemiker in den Entwicklungslaboren.

 

Die TR führt hierzu zwei Problemfelder der kriminaltechnischen Untersuchungen an:

 

1.       die Suche und Analyse von Schmauchpartikeln mit einem Rasterelektronenmikroskop und

2.       die Sichtbarmachung durch Anfärben (Chemographie)

 

jeweils mit dem Ziel der Bestimmung der Schussentfernung zur Rekonstruktion eines Tatablaufs.

Diese Anforderungen mittels geeigneter Beimischungen zur Treibladung zu erfüllen, erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den höchst komplexen Vorgängen bei einer Zündung.Schließlich müssen die Schmauchpartikel eine Elementkombination aufweisen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Umwelt vorkommt.

 

In Zusammenarbeit mit dem Leiter der ballistischen Abteilung der Forschungseinrichtung der Carabinieri in Parma, Lt. Col. Matteo Donghi wurden unterschiedliche Zusammensetzungen von Treibladungen entwickelt und getestet. 

 

Unter der Überschrift „Identifikation von Schuss-Rückständen durch wissenschaftlichen Nachweis“ stellte Lt.Col. Donghi auf der Fachkonferenz Waffen- und Gerätewesen der Deutschen Hochschule der Polizei in Nürnberg im März 2015, die Ergebnisse der unterschiedlichen Testreihen vor. Die italienische Bezeichnung wird mit den Buchstaben „RIS“ (Residui di sparo Identificabili Scientificamente)abgekürzt.

 

In diesem Zusammenhang wurde auch auf den „Zetapì Primer“(ZetaPi, Zero Pollution) ein Anzündhütchen das frei von Schwermetallen und Zink ist, hingewiesen. Die dunkelbraunen Zündhütchen, die den Anforderungen hinsichtlich des o. g. Nachweises entsprechen, erhalten die Prägung „RIS“. 

 

Am Ende stand eine Zusammensetzung bei der eine Beimischung von Titanoxid und Samariumoxid den geforderten hochspezifischen Nachweis der Rückstände im Rahmen der Untersuchung mit dem Rasterelektronenmikroskop ergab. 

 

Die nächste Herausforderung bestand darin, eine Zusammensetzung des Pulvers zu finden, die ebenfalls den weiteren forensischen Anforderungen der TR hinsichtlich des chemographischen Nachweises genügt. Hierzu wurde dem Pulver zuerst Samariumoxid beigemischt, allerdings nicht mit dem erwarteten Ergebnis. 

 

Schließlich kam man nach Beimischung von Kupfer zu den geforderten Resultaten und der Nachweis der entsprechenden Anzahl von Schmauchpartikeln konnte in den Laboren der Forschungseinrichtung der Carabinieri ebenfalls erbracht werden.

 

Der nächste Schritt zur Zertifizierung ist nun die Fertigung eines Loses in der Größenordnung von 50.000 Patronen die der Zertifizierungsstelle vorzulegen sind. Hiervon werden 10.000 Patronen nach dem Zufallsprinzip für die einzelnen Prüfungen ausgewählt werden.

 

Die Zertfizierungsstelle ist das allseits bekannte Beschussamt Ulm (siehe auch Beitrag aus POLIZEIPRAXIS Ausgabe 1/2013), die chemische Untersuchung des Treibladungspulvers erfolgt durch die Wehrwissenschaftliche Dienststelle für Waffen und Munition (WTD 91) in Meppen und die Prüfungen in Zusammenhang mit den nichtflüchtigen Spurenelementen in den Schmauchrückständen erfolgen durch das BKA, Wiesbaden.

 

Nach Aussage von Fiocchi wird voraussichtlich Ende des Jahres 2015, bzw. Anfang 2016 die neue Munition zur Zertifizierung vorgelegt.

Spätesten auf der IWA 2016 (04.03. – 07.03.2016 in Nürnberg) werden wir weitere Einzelheiten am Stand von Fiocchi erfahren. 

Text: RK, Bilder: Fiocchi