Zum Inhalt springen
< Erleichterung der missionskritischen Kommunikation

Konsequenzen der Legalisierung von Cannabis in Kanada

Seitdem Cannabis in Kanada legalisiert wurde, lernen die Bevölkerung und Polizei mit den Konsequenzen der neuen Freiheit umzugehen.


Am 17. Oktober 2018 schrieb Kanada Geschichte, als es als erste Volkswirtschaft aus der G7-Gruppe den Besitz und Genuss von Cannabis legalisierte. Seitdem haben kanadische Bürger das Recht, bis zu 30 Gramm der getrockneten Pflanze bei sich zu tragen, zu konsumieren und mit anderen Erwachsenen zu teilen.

In den meisten Teilen des Landes darf jeder Bürger außerdem bis zu vier Cannabis-Pflanzen züchten. Damit nimmt das Land eine Vorreiterrolle ein, denn obwohl weltweit mehr als 30 Länder, einschließlich Deutschland, den medizinischen Einsatz von Cannabis zugelassen haben, tun sich Politiker mit der Legalisierung eines bisher als Rauschgift klassifizierten Gewächses für den Freizeitgebrauch erheblich schwerer.


Während Cannabis-Befürworter den 17. Oktober feierten, weil damit das Justizsystem entlastet, Patienten geholfen und die Schattenwirtschaft trockengelegt werden könnte, machen sich nicht nur Verkehrsexperten Sorgen um die Folgen für den Straßenverkehr und die öffentliche Sicherheit. Zu groß ist die Bandbreite an mit Cannabis versetzten Produkten, die uneinheitlich etikettiert sind und den Verbraucher zwar oft, aber nicht immer berauschen. Zu groß ist auch die Grauzone.


Denn im Unterschied zu Alkohol gibt es bislang keinen gesetzlichen Grenzwert, ab dem das Vorhandensein der psychoaktiven Substanz THC (kurz für Tetrahydrocannabinol) mit einer Beeinträchtigung des Fahrvermögens gleichzusetzen ist. Anders als bei einer Atemalkoholmessung gehören tragbare Geräte wie der Dräger DrugTest 5000, mit dem sich Drogen wie Cannabis, Kokain und andere nachweisen lassen, noch nicht flächendeckend zur Ausstattung eines normalen Streifenwagens.


Drogen hinterm Steuer


Fest steht, dass immer mehr Kanadier benebelt am Steuer sitzen. In einer Umfrage der staatlichen Gesundheitsbehörde

von 2016 gab jeder vierte Cannabis-Nutzer zu, bereits einmal unter Drogeneinfluss gefahren zu sein. Da laut Statistikbehörde rund fünf Millionen der insgesamt 37 Millionen Einwohner regelmäßig Cannabis-Produkte konsumieren,

wären das weit mehr als eine Million berauschte Verkehrsteilnehmer.


Die kanadische Suchtgefahrenstelle vermeldete zudem, dass die Zahl von Verkehrstoten mit Rauschgift im Körper (40 Prozent) inzwischen die Zahl der Unfallopfer mit Alkohol im Blut (33 Prozent) übersteigt. Gras hat eine ebenso illustre Geschichte wie große Fangemeinde. Weltweit gilt Cannabis als die meistkonsumierte „illegale Droge“ und wurde 2017 in fast jedem Land der Welt angebaut. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) geht davon aus, dass weltweit mindestens 271 Millionen Menschen Drogen konsumieren, können den Effekt auf ihren Körper nur schwer einschätzen“, sagt der als Drogenexperte (Drug Recognition Expert, DRE) ausgebildete kanadische Beamte. „Das Thema Drogen am Steuer war schon immer auf unserem Radar. Bislang hatten wir allerdings kein Gerät,

um die Drogen auch nachzuweisen, geschweige denn, die Konzentration zu messen.“ Seit Mai 2019 kann der Mitarbeiter der Polizeibehörde South Simcoe, eine Stunde nördlich der Millionenstadt Toronto, für mehr davon 188 Millionen Cannabis. Die medizinische Anwendung der Cannabis-Sativa-Pflanze lässt sich mindestens bis ins vierte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurückverfolgen, weil sie neben THC Dutzende weiterer Moleküle enthält, die alle das körpereigene Endocannabinoid-System ansprechen, welches Müdigkeit, Stress, Gemütszustand und Erinnerungsvermögen reguliert.


Vor allem das nicht psychoaktive, aber entzündungshemmende Cannabidiol (CBD) hat die Aufmerksamkeit von Verbrauchern und Unternehmern geweckt, die von Dragees bis Salben vielerlei damit versetzen. Problematisch wird es, wenn Cannabis-Produkte variable Mischungen von THC und CBD enthalten und sich Nutzer an ihre persönliche Toleranzschwelle herantasten müssen. Für Polizisten wie Constable Paul Catling sind berauschte Verkehrsteilnehmer

deshalb ein großes und wachsendes Problem – erst recht nach der Legalisierung. „Es ist viel einfacher geworden, an Cannabis heranzukommen.


Die Leute tragen es offen mit sich und in ihren Fahrzeugen herum, aber sie Gewissheit sorgen, wenn er von Kollegen

zu einem Unfall oder einer Verkehrskontrolle gerufen wird. Seine Behörde hat bislang fünf Dräger DrugTests 5000 in Betrieb, das erste in Kanada offiziell zugelassene mobile Gerät, um Verkehrsteilnehmer mittels Speichelprobe verlässlich

auf Cannabis und Kokain zu testen.


Im Vergleich zu anderen Drogentests besitzt es einen erheblichen Vorteil: Anders als bei einer Blutprobe ist der Abstrich aus dem Mund nicht-invasiv und muss nicht von medizinisch geschultem Personal vorgenommen werden. Und anders als bei einer Urinprobe kann ein Beamter den Speicheltest unkompliziert im Fahrzeug oder am Straßenrand durchführen.


Landesweit im Einsatz


South Simcoe ist nur eine von mehr als 80 Polizeibehörden im Land, die der Gefahr für den Straßenverkehr mit innovativer

Technik zu begegnen versucht. Mit Ausnahme der östlichen Provinz Quebec sind mittlerweile etliche Geräte landesweit erfolgreich im Einsatz, berichtet die kanadische Dräger-Mitarbeiterin Einat Velichover: „Die Polizei rollt sie mit Bedacht aus,

denn man muss einiges an Vorarbeit leisten, was Training, Einsatz und rechtliche Aspekte betrifft.“ Für Beamte wie Catling stellen die tragbaren Geräte eine erhebliche Arbeitserleichterung dar. „Das Gerät erkennt THC und Kokain in einer Speichelprobe, damit wir gegebenenfalls weitere Untersuchungen veranlassen können. Es ist ein nützliches Werkzeug, um unsere Straßen sicherer zu machen“, sagt der Polizist. Sein Einsatzgebiet hält ihn besonders auf Trab. Im Umland der Millionenstadt Toronto, leben zwar nur 65.000 Menschen, aber es wird in Nord-Süd-Richtung vom Highway 400 durchquert – einer der Hauptverkehrsadern der Provinz Ontario.


„Wir haben erheblichen Durchgangsverkehr. Oft weichen selbst Lkw-Fahrer in unser Gebiet aus und werden dann von uns kontrolliert.“ Wenn Catling und seine zwei Kollegen in South Simcoe nicht selbst einen Fahrer anhalten und eine Kontrolle durchführen, werden sie bei einem Anfangsverdacht von Streifenpolizisten gerufen. Der Einsatz des DrugTest 5000, so der Beamte, sei denkbar einfach. „Wir erklären dem Fahrer, wie er die Speichelprobe mit dem Teststreifen abgeben kann, der dann ins Gerät gesteckt wird.“ Nach etwa vier bis fünf Minuten liege das Ergebnis vor, ob jemand THC oder Kokain im

Speichel hat. „Der Fahrer bekommt einen Ausdruck, damit man schwarz auf weiß sieht, was der Test ergeben hat. Das Ganze dauert nicht länger als eine normale Verkehrskontrolle, aber wir können jetzt Fahrer identifizieren, die vor Kurzem Drogen konsumiert haben. Oft erscheinen sie auf den ersten Blick gar nicht beeinträchtigt.“


Bei einem positiven Ergebnis liegt es in Kanada im Ermessen eines Fachmanns wie Catling, weitere Maßnahmen, etwa eine Blutentnahme, anzuordnen. Seit die Geräte in South Simcoe in Betrieb sind, führen Catling und Kollegen im Schnitt zwei

Drogentests am Tag durch. Dabei nehmen sie insbesondere junge Verkehrsteilnehmer, Führerscheinneulinge und

Berufskraftfahrer ins Visier, denn trotz Legalisierung gilt eine Null-Toleranz-Regelung für diese Verkehrsteilnehmer.


Tests: auch für Trucker


Erste Zahlen belegen, wie viel Nachholbedarf bei verlässlichen Kontrollen besteht: Bei jedem dritten Fahrer konnten

die Beamten THC und/oder Kokain im Blut (dank der Speichelprobenanalyse) nachweisen. Bei wem zum ersten Mal etwas nachgewiesen wird, aber keine Beeinträchtigung festzustellen ist, der kommt mit einem automatischen Führerscheinentzug

für drei Tage davon. Im Wiederholungsfall steigt die Dauer der Sperre auf bis zu 30 Tage. Im Idealfall wünscht sich der Drogenexperte, dass alle Streifenwagen seiner rund 100 Kollegen in South Simcoe mit einem mobilen Testgerät ausgestattet werden. „Bei Alkoholtests ist das seit Langem Standard, aber es ist natürlich ein Kostenfaktor“, gibt er zu. Die Anschaffung derartiger Geräte ist eine Entscheidung der jeweiligen Polizeibehörde und der zuständigen Provinz.


Dabei dürfte der Bedarf an derartigen Sicherheitsmaßnahmen weiter steigen: Experten prognostizieren der Cannabis-

Industrie ein erhebliches Wachstum – und damit immer mehr Nutzer quer durch alle Bevölkerungsschichten, die sich entspannen oder Symptome wie Schlaflosigkeit und Schmerzen bekämpfen wollen.


Das Beratungshaus Deloitte veranschlagt Kanadas legalen Markt 2019 auf 4,34 Milliarden US-Dollar – und damit bereits größer als der nach wie vor vorhandene illegale Markt. Zum Vergleich: Kalifornien, ein US-Bundesstaat mit ähnlicher Einwohnerzahl, legalisierte seine Cannabis-Wirtschaft 2018 und rechnete im Folgejahr mit einem legalen Markt von 3,1 Milliarden US-Dollar.


Das erlaubte Gras-Geschäft wird allerdings von einem weiterhin florierenden Schwarzmarkt für Cannabis-Produkte

im Wert von 8,7 Milliarden US-Dollar überschattet. Insgesamt erwarten Fachleute, dass mit Pot im Jahr 2024 in ganz Nordamerika mehr als 47 Milliarden US-Dollar umgesetzt werden könnten. Bürger haben die möglichen Schattenseiten

des Booms erkannt, wie eine Umfrage der gemeinnützigen Stiftung Arrive Alive mit Sitz in Toronto aus dem Sommer

2018 ergab. Danach sind 91 Prozent der Kanadier der Meinung, dass Cannabis das Urteilsvermögen hinterm Steuer

beeinträchtigt; 80 Prozent meinen, dass die Risiken mindestens ebenso hoch sind wie bei Alkohol. Neun von zehn Bürgern

sagten den Meinungsforschern, sie würden die Einführung von Speicheltests begrüßen, wenn diese die Sicherheit im

Straßenverkehr erhöhen. Stichprobenartige Kontrollen wie im Umland von Toronto sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, geben Polizisten wie Paul Catling zu. Doch häufigere und regelmäßigere Tests haben einen langfristigen Effekt. Es

spricht sich herum, dass die kanadische Polizei jetzt über mobile Drogentests verfügt. Nicht zuletzt, weil die Beamten die Namen all jener veröffentlichen, bei denen das Gerät ein positives Resultat ausgespuckt hat. „Das“, sagt Catling, „hat einen

Erziehungseffekt und entfaltet eine abschreckende Wirkung“.


Text/Bilder: Drägerheft #406