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Nylon - ein Werkstoff für Schutzbrillen und Visiere?

Erkennen Sie den Unterschied?

Nylon – den Begriff kennt jeder, spätestens seit der Erfindung der Nylon-Strümpfe. Aber auch in vielen Produkten unseres heutigen Alltags hat sich dieses Polyamid als unverzichtbarer Werkstoff bewiesen, vor allem dann, wenn Produkte eine hohe mechanische Beanspruchung aushalten müssen. 

 

Aus der weißlich transparenten Faser lassen sich sehr robuste Textilien herstellen, weswegen Gerüchten zu Folge sein Erfinder Wallace Carothers ausgerufen haben soll: „Now You Lousy Old Nipponese” oder “Now You Look Old Nippon”, da er in der Nylon-Faser den Ersatz für japanische Seide sah - NYLON. Bekannt ist z.B. Ripstop, ein besonders leichtes, aber extrem reiß- und scheuerfestes Gewebe aus Nylon. 

 

Als Kunststoff zählt Nylon zu den Thermoplasten, lässt sich also unter Wärmeeinwirkung verformen oder gar schmelzen. Aufgrund seiner hervorragenden mechanischen Eigenschaft in Verbindung mit großer Beständigkeit gegenüber Wasser, verdünnten Säuren und organischen Lösungsmitteln fand Nylon auch in anderen Gegenständen, wie z.B. Schutzhelmen, Reißverschlüssen und Maschinenteilen Anwendung. Nur in der Anwendung für optische Produkte schien Nylon wenig geeignet zu sein, da sehr aufwändige und damit teure Produktionsprozesse notwendig zu sein schienen um gute optische Eigenschaften zu erzielen.

 

Der Firma Paulson Manufacturing Corporation mit Sitz in Temecula, Kalifornien, in Deutschland vertreten durch die Paulson International Ltd, ist es gelungen, die Scheiben für ihre Korbbrillen (Goggles) und Visiere in Spitzenqualität zu attraktiven Preisen zu fertigen. 

Nur der Experte mag den Unterschied zu den Produkten aus den gleichen Produktfamilien erkennen, die mit Polycarbonat-Sichtscheiben ausgestattet sind. 

 

Die Prüfberichte jedoch zeigen, warum Paulson soviel Zeit und Geld in die Forschung und Entwicklung mit Nylon hineingesteckt hat: Die Sichtscheiben aus Nylon bieten den gleichen Schutz bei 30% geringerem Gewicht oder deutlich besseren Schutz bei vergleichbarem Gewicht. 

 

Das liegt an den besonderen Eigenschaften der Makromoleküle dieses Werkstoffs. Mikroskopisch kleine Moleküle, die, vereinfacht ausgedrückt, aus Kohlenstoff, Wasser und Luft zusammengesetzt sind, verketten sich zu makroskopischen drei-dimensionalen Strukturen, sogenannten Polymeren, die mehr oder weniger elastisch reagieren, wenn sie einer mechanischen Beanspruchung ausgesetzt sind. Der Splitter eines Geschosses beispielsweise wird aufgenommen, anstatt einfach nur ab zu prallen. 

 

Damit werden auch hohe Bewegungsenergien zur Umstrukturierung der äußerst zähen Nylon-Struktur „verwendet“, ohne dass es zum Bruch oder Durchschlag kommt. Das Material quillt auf, quasi wie ein Quark, in den man einen Stein hinein fallen lässt.

 

Polycarbonat ist auch so ein Polymer, sicherlich ein genialer Werkstoff aber eben nicht so zäh wie Nylon. Zum Schutz gegen sehr schnelle und/oder schwere Fragmente muss eine Sichtscheibe aus Polycarbonat also dicker oder gar mehrlagig sein, um einen vergleichbaren Schutz zu bieten. Das führt zwangsläufig zu höherem Gewicht. 

 

Paulson bietet seine 'Advanced Combat Goggle' sowie sein taktisches Visier DK6-X.250 sowohl mit einer Scheibe aus Polycarbonat als auch mit einer Scheibe gleicher Dicke aus Nylon an. Da die beiden Produkte ansonsten gleich aufgebaut sind, lassen sie sich gut zum Vergleich heranziehen. 

 

Für die Versuche wurde das Prüfverfahren MIL STD 662F ausgewählt. Im Gegensatz zu dem oft angewendeten Prüfverfahren nach MIL V 43511C wird bei diesem Test die Beschussenergie, hier die Geschwindigkeit der Fragmente, bis zum letztendlichen Produktversagen erhöht, um so absolute Grenzwerte zu bestimmen. 

 

Der Vergleich der v50-Ratings zeigt deutlich die Überlegenheit von Nylon gegenüber Polycarbonat. Schafft die Polycarbonat-Variante der 'Advanced Combat Goggle', also der Typ ACG-L, bei einer 4 mm dicken Scheibe immerhin bemerkenswerte 246 m/s, also 45% mehr als mit der MIL V 43511C gefordert, erreicht das v50-Rating der Nylon-Variante mit einer Scheibe gleicher Dicke fast die 300 m/s Marke (ca. 17% mehr) und trotzdem ist die Scheibe ca. 15%  leichter. 

 

Bei dem DK6-X.250-Visier ist das Ergebnis noch deutlicher. Mit der 6mm Polycarbonat-Scheibe kommt das Visier auf ein v50-rating von ca. 260 m/s, die gleich dicke Nylon-Scheibe bringt es auf den fast 1,4 fachen Wert, nämlich ca. 360 m/s.

 

Fassen wir also zusammen: Ein Produkt zum Schutz von Augen und Gesicht mit einer Scheibe aus Nylon wiegt bei gleichem Schutzniveau deutlich weniger als ein vergleichbares Produkt mit einer Sichtscheibe aus Polycarbonat. 

 

Oder andersherum formuliert, eine Polycarbonat-Scheibe muss deutlich dicker oder mehrlagig ausgeführt werden, um die gleiche Schutzwirkung zu erreichen, wie eine Scheibe aus Nylon.

 

Aber dicke oder mehrlagige Sichtscheiben haben, neben etlichen Vorteilen, notwendigerweise schlechtere optische Eigenschaften. Das Bild des scheinbar geknickten Stifts, der in einem Glas steckt, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, haben wir alle vor Augen. Je dicker nun eine Scheibe ist oder sein muss um einen gewissen Schutz zu bieten, je drastischer treten solche Effekte auf, d.h. man sieht Dinge nicht dort, wo sie tatsächlich sind. Das kann fatal sein, z.B. bei zielgenauen Schießen. 

 

Zudem lassen mehrlagige Sichtscheiben etwas weniger Licht durch, da bei jedem Übergang zwischen Scheibenlage und Luft Reflexionen auftreten. Das macht sich besonders bei Nachteinsätzen bemerkbar, wo kleinste Details, die man noch in der Dunkelheit erkennen muss, ggf. lebenswichtig sein können.

 

Sind damit Produkte mit Scheiben aus anderen Kunststoffen als Nylon überholt? Ja und nein, die Vorzüge von Nylon liegen auf der Hand, aber – besonders die Beschaffer unter den Lesern werden es wohl schon erwartet haben – Nylon-Scheiben sind etwas teurer als z.B. Scheiben aus Polycarbonat und nicht immer ist der zusätzliche Schutz oder das geringere Gewicht wenn auch wünschenswert, tatsächlich notwendig.

 

Man sollte also auch hier eine Gefährdungsbeurteilung und Risikoabwägung durchführen und mit den dabei gewonnenen Erkenntnissen ein geeignetes Produkt auswählen. Aber in jedem Fall sollte man das Produkt testen. 

 

Nein, nicht erneut ballistische Tests durchführen. Herstellern von Qualitätsprodukten sollte man schon trauen können. Allerdings sollte man die Prospektdaten genau prüfen und sich ein wenig mit den dort angezogenen Standards und Prüfverfahren vertraut machen. Prüfverfahren können zwar nicht die Realität in all ihrer Vielfalt widerspiegeln, aber sie stellen auch Szenarien dar, in denen Sie sich vielleicht wiederfinden und einen Abgleich mit den aus der Gefährdungsanalyse gewonnenen Daten ermöglichen. 

 

Nicht zuletzt aber sollte man auch auf die Alltagstauglichkeit und Langlebigkeit achten. Wie ist die Optik, der Tragekomfort und wie einfach lässt sich eine Sichtscheibe austauschen oder reinigen, denn wir hoffen doch alle, dass wir den ballistischen Schutz nie wirklich brauchen ...

Text: Paulson/RK, Bilder: Paulson